Was ist Trauma?
Trauma ist ein weites Feld. Um einen Teil davon geht es hier bei Endlich Ich Selbst.
Trauma ist nicht (nur) das, was wir denken.
Bei dem Begriff „Trauma“ und der Frage, ob wir traumatisiert sind, denken wir in aller Regel an folgende Ereignisse: Unfall, Überfall, Unglück, Entführung, Gewalterfahrung, Anschlag, medizinischer Notfall, plötzlicher Verlust eines Menschen, Verlust der Wohnung durch einen Brand oder ähnliches. Oder wir denken an: Krieg, Verfolgung, Naturkatastrophen.
Das alles sind traumatische Erlebnisse. Das alles sind heftige, tiefgreifende, einschneidende, für alle sichtbar extrem belastende Erfahrungen. Und wenn wir so etwas nicht erlebt haben, denken wir, wir sind nicht traumatisiert.
Aber Trauma ist noch viel mehr.
Wir können auch traumatisiert sein, obwohl wir solche heftigen, ins Leben einschneidenden Erlebnisse nicht hatten. Denn Trauma gibt es auch im (vermeintlich) Kleinen, Versteckten, nicht so Offensichtlichen.
Und traumatisieren kann nicht nur das, was stattfindet, sondern auch das, was fehlt.
Eine neue Definition von „Trauma“
Das heutige Verständnis von Trauma lässt sich so formulieren (ich zitiere Verena König):
„Ein traumatisches Erlebnis zeichnet sich dadurch aus, dass es die Bewältigungs- und Verarbeitungsfähigkeit des Betroffenen übersteigt. Es hat eine solche Wucht und Intensität, dass der Betroffene davon überwältigt wird und Gefühle von Hilflosigkeit, Ohnmacht und Lebensbedrohung erfährt.“ (Verena König)
Das kann also ein Unfall sein oder ein anders sehr schweres Ereignis.
Es kann aber auch viel "unsichtbarer" sein - und trotzdem so überwältigend, dass es traumatisierend ist.
Trauma kann auch dort stattfinden, wo Menschen mit ihrer Not so alleingelassen werden, dass sie sich überfordert, hilflos, ohnmächtig, ausweglos und lebensbedroht fühlen. Traumatisierung findet auch dort statt, wo ein Mensch Hilfe bräuchte und sie nicht findet, wo er mit seinen eigenen Verarbeitungs- und Bewältigungsfähigkeiten am Ende ist und keine andere Hilfe da ist und wo er dadurch in einen Zustand maximaler Angst, Ausweglosigkeit, Hilflosigkeit und Ohnmacht gerät.
Trauma findet dort statt, wo massiver Stress für das Nervensystem entsteht und wo Kampf und Flucht nicht möglich sind (z.B. als kleines Kind gegenüber den Eltern) und wo es auch keine Co-Regulation (also Hilfe von außen) gibt. Wo die Überforderung der Situation so groß ist, dass dieser Mensch sie nicht verarbeiten kann, innerlich aufgibt, zusammenbricht, sich in sich selbst zurückzieht oder sogar Anteile von sich selbst abspaltet und ggf. die Erinnerung an die Erlebnisse verdrängt.
Was kann das sein? Dieses „Trauma im Verborgenen“?
Worüber wir im Zusammenhang mit Trauma viel zu wenig sprechen, was aber ebenso traumatisierend sein kann und worum es auch hier an diesem Ort geht, sind sogenannte permanent stattfindende „Mikrotraumata“. Kleine, aber sich stetig wiederholende und in ihrer Summe traumatisierenden Erfahrungen, sich wiederholende emotionale Schocksituationen.
Dazu zählen häufig Dinge, die auf den ersten Blick nicht traumatisierend scheinen. Dinge, die jeder mal erlebt. Aber die Summe dieser Dinge kann sehr tief prägen und traumatisieren. Vor allem, wenn sie in früher Kindheit stattfinden, und vor allem auch dann, wenn der betreffende Mensch sowieso schon aufgrund seiner Veranlagung andere oder geringere Bewältigungs- und Verarbeitungsmöglichkeiten dafür hat oder die Erfahrung deutlich intensiver erlebt als andere, wie es oft bei neurodivergenten Menschen (ADHS, Autismus) der Fall ist.
Was sind „Mikrotraumata“?
Mikrotraumata bzw. emotionale Schocksituationen können Situationen sein, in denen etwas GESCHIEHT und dieses Geschehen traumatisiert. Z.B. Demütigung, Erniedrigung, Beschämung, Verlassenwerden, Mobbing, Ausgrenzung, Abwertung, Bagatellisieren („es gibt kein Problem, was du schon wieder hast“), Ausgenutztwerden, Diskriminierung, narzisstische Gewalt und mehr.
Dinge, die stattfinden, können traumatisieren. Aber auch Dinge, die stattfinden SOLLTEN, aber NICHT DA sind, können traumatisieren. Auch das FEHLEN von etwas Lebensnotwendigem kann traumatisieren. Z.B. fehlender Trost, fehlende Beruhigung, fehlende Annahme, fehlende Wertschätzung, fehlende emotionale Nähe, fehlende Sicherheit und Rückhalt, fehlender Schutz, Liebesentzug, Nichtbeachtung, eisiges Schweigen, etc.
Das alles sind Dinge, die unter dem Begriff „emotionale Gewalt“ oder „psychische Gewalt“ oder „emotionale Vernachlässigung“ zusammengefasst werden können.
Das kann traumatisieren. Nicht jeden. Manche Menschen sind emotional und psychisch und neurologisch sehr robust. Aber andere sind es nicht und es entsteht eine Traumatisierung durch solche Erlebnisse.
Man nennt diese Form der Traumatisierung auch Komplex-Trauma (im Gegensatz zum "Mono-Trauma" durch ein einmaliges traumatisierendes Erlebnis). Das ist toxischer Stress für die betroffene Person, ausgelöst durch Menschen und über längere Zeit bestehend. Findet das in der frühen Kindheit und durch die Bezugspersonen statt, nennt man es Bindungstraumatisierung.
Viele Menschen im Erwachsenenalter sind traumatisiert, ohne es zu wissen.
Wer solch eine frühe Mikrotraumatisierung erlebt hat, weiß in der Regel gar nicht, dass er traumatisiert ist. Denn es war ja normal. Man weiß gar nicht, dass es auch anders hätte gehen können und müssen. Man lernt, es zu verdrängen, es selbst zu bagatellisieren, die Eltern in Schutz zu nehmen und sie zu verteidigen. Außerdem weiß man gar nicht, was es alles theoretisch geben würde an liebevoller Zuwendung, Wärme und Nähe. Denn man hat es nie erfahren. Und zu guter Letzt lernt man ja auch, seine eigenen Bedürfnisse gar nicht zu spüren bzw. in Abrede zustellen.
Und so wissen viele von uns gar nicht, dass sie traumatisiert sind. Wir wundern uns nur, warum unser Leben immer so anstrengend ist, warum wir immer irgendwie auf der Stelle treten, ständig zwischen Stress und Erschöpfung hin- und herpendeln, warum wir nicht in der Lage sind, glückliche Beziehungen aufzubauen, warum wir chronisch krank sind oder ständig Schmerzen haben.
Wir wissen nicht, dass das Nervensystem ist in einem dysregulierten Zustand eingerastet ist und dass es aus dem Dauerzustand der Not nicht herauskommt und dass wir deshalb ständig am Kämpfen sind und auf keinen grünen Zweig kommen.
Wie wirkt sich eine frühe Traumatisierung auf das spätere Leben aus?
Woran erkennen wir, ob wir frühe Traumatisierung erlebt haben? Woran erkennen wir eine Bindungstraumatisierung?
Wenn wir in unserer sehr frühen Kindheit traumatische Erfahrungen gemacht haben, vor allem die, die hier unter „Mikrotraumata“ genannt sind, dann wirken diese sich meist in allen möglichen Bereichen unseres Lebens aus.
Es kommt zu Beeinträchtigungen unseres Selbstbildes und Selbstkonzeptes (wir glauben, wir sind minderwertig), unserer Identität (wir wissen gar nicht, wer und wie wir eigentlich sind), unseres Menschen- und Weltbildes (Menschen sind gefährlich, die Welt ist ein gefährlicher Ort), unserer Beziehungsfähigkeit (wir landen immer wieder in ungesunden Beziehungen oder bleiben ewig alleine). Außerdem wirkt sich die frühe Traumatisierung meist körperlich aus, wir werden körperlich krank, es gibt körperliche oder emotionales Flashbacks (überfallartiges Erleben unaushaltbarer Gefühle oder Körperreaktionen).
Man nennt dieses Folge-Paket nach früher und komplexer Traumatisierung K-PTBS (= Komplexe Post-Traumatische-Belastungs-Störung).
Was bedeutet es, mit einer K-PTBS zu leben?
Mit einer K-PTBS zu leben bedeutet, nicht sein eigenes Leben zu leben, sondern von unbewussten Glaubens- und Verhaltensmustern bestimmt zu werden, sich anzupassen und eine Rolle zu erfüllen. Es bedeutet, nicht zu wissen, wer und wie man eigentlich ist, minderwertig von sich selbst zu denken, mißtrauisch gegenüber anderen Menschen, der Welt und dem Leben zu sein, ein ständig über- oder untererregtes Nervensystem zu haben, zwischen Stress und Erschöpfung hin- und herzupendeln, sich nicht so verhalten zu können, wie man es gerne möchte, weil man von Anpassungs- und Schutzmechanismen bestimmt wird.
Es bedeutet, sich ständig „selbst zu sabotieren“, immer wieder „getriggert“ zu werden und mit überwältigenden emotionalen Wellen zu kämpfen – oder auch emotional abgespalten und abgestumpft zu sein, immer wieder in ungesunde toxische Beziehungen zu geraten oder überhaupt massive Probleme zu haben, gesunde Beziehungen aufzubauen. Es bedeutet oft, mit chronischen Krankheiten oder Schmerzen zu kämpfen und eine Therapie nach der anderen zu machen.
Unsere Mission
Wir hier bei endlichichselbst.com kennen solche Bindungstraumatisierungen und Komplex-Traumata aus eigener Erfahrung – und wir sind auf dem Heilungsweg und dabei, die Folgen unserer Komplextraumata zu überwinden. Es ist ein langer Weg und es ist schwer, aber es ist möglich. Dafür stehen wir als Beispiel und hoffen, anderen mit unserer eigenen Geschichte Mut zu machen.